Fritz Thyssen Stiftung Journal Allgemein Warum wir das Rennen gegen den Klimawandel nicht mit Bildern von brennenden Erden gewinnen können

Warum wir das Rennen gegen den Klimawandel nicht mit Bildern von brennenden Erden gewinnen können

Die Medienwissenschaftlerin Birgit Schneider hat mehr als zehn Jahre lang Bilder vom Klimawandel untersucht – von Alexander von Humboldts Klimazonenkarten bis zu Al Gores „Eine unbequeme Wahrheit“. Jetzt hält sie Wissenschaftlern wie Journalisten den Spiegel vor und fordert: Wenn wir die große Katstrophe noch aufhalten und Politiker zum Handeln bewegen wollen, brauchen wir bessere Darstellungen vom Klimawandel.

Forschungsprojekt: Klimabilder. Eine Typologie der Visualisierung des Klimas und seiner Wandlungen seit 1800.

Flutwellen, Eisstürme und Waldbrände – das sind die Bilder, mit denen wir den menschengemachten Klimawandel verbinden. Geprägt sind diese Vorstellungen von Weltuntergangsfilmen, den Nachrichten und dem Wetterbericht. Wie sich Darstellungen vom Klima seit der ersten Klimakarte von Alexander von Humboldt verändert haben, und was diese Darstellungen in uns Zuschauern auslösen, untersucht die Medienwissenschaftlerin Prof. Birgit Schneider an der Universität Potsdam. Ihre Forschung berührt ein kaum beleuchtetes Randgebiet der Medienwissenschaften und kombiniert diese mit Wissen aus der Meteorologie und Methoden der Kunstgeschichte. Deshalb fördert die Fritz Thyssen Stiftung Schneiders Arbeit mit einem Dilthey-Fellowship. Das nach dem deutschen Philosophen Wilhelm Dilthey benannte Stipendium soll es exzellenten, jungen Geisteswissenschaftlern ermöglichen, nach ihrer Promotion neue Gebiete zu erschließen, die aufgrund ihrer Komplexität oder ihres höheren Risikos längere Planungs- und Zeithorizonte benötigen, damit sich die Forscher zu führenden Vertretern ihres Wissensgebiets entwickeln können.

Ihre Ergebnisse hat Schneider in einem Buch niedergeschrieben: „Klimabilder. Eine Genealogie globaler Bildpolitiken von Klima und Klimawandel“ ist 2018 beim Matthes & Seitz Verlag in Berlin erschienen und hat es sofort in die Top 10 der Sachbuch-Bestenliste der Wochenzeitung Die Zeit geschafft. In ihrem zweiteiligen Buch beschreibt Schneider erst die Geschichte der Klimabilder seit Beginn des 19. Jahrhunderts und erklärt dann die Politik von Klimabildern seit der Erkenntnis des menschengemachten Klimawandels.

Interview mit Prof. Schneider zu Bildpolitiken des Klimawandels, Teil 1/2

Interview mit Prof. Schneider zu Bildpolitiken des Klimawandels, Teil 2/2

„Der Forschungsgegenstand sollte über die Methodik bestimmen“

Für das neue Forschungsfeld „Medienökologie“ leistete Schneider seit Sommer 2007 Pionierarbeit in Deutschland und musste sich anfangs für sie völlig fachfremdes Wissen aneignen: Ob Meteorologie-Geschichte oder klimatografische Karten, dass Medienwissenschaftler sich mit solchen Themen beschäftigen, war Anfang der 2000er in Deutschland eine Besonderheit. Und auch ihre Forschungsmethode war ungewöhnlich, denn Schneider analysierte diese Klimabilder aus einer Perspektive der Kunstgeschichte: „Es war mir wichtig, selbst die dürrsten Datengrafiken mit der gleichen Ernsthaftigkeit anzuschauen, wie Kunsthistoriker ein Altarbild von Hans Memling anschauen.“ Diese Klimagrafiken analysierte Schneider nach Fragen wie: „Was entfalten diese Bilder?“, „Was ist der Einfluss von Menschen auf die Erde?“ und „Welche Zukünfte sind in diesen Wissenschaftsbildern enthalten?“

  • Das Jüngste Gericht – Altarbild von Hans Memling, entstanden 1467-1471. Die auferstandenen Toten halten entweder Einzug nach Jerusalem (die Erretteten, links) oder werden in die Hölle gestürzt (die Verdammten, rechts). Nationalmuseum Danzig. Abbildung: Wikicommons

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Wie das Klima zum Bild wurde

Der erste Teil ihres Buches, sagt Schneider, fragt, welche Rolle Messinstrumente, Tabellen und Visualisierungsmethoden wie eine Karte gespielt haben, um Erkenntnis über das Klima zu erlangen. Also: Wie kann man das Klima überhaupt zum Bild machen? Dafür untersuchte Schneider speziell den Beginn des 19. Jahrhunderts, in der Klimavisualisierung überhaupt erst entwickelt wurde. „Ich wollte herausfinden, wie Daten erfasst, wann Messstationen gegründet wurden und wie die ersten Messnetze aussahen“, sagt Schneider. „Seither mussten sogenannte Tabellenknechte dreimal täglich Messungen erheben und sehr gewissenhaft in Tabellen überführen. Und das jeden Tag, zu jeder Stunde und zu jedem Wetter.“ Diese erste Fabrikation von Wetterdaten wurde im 19. Jahrhundert erst an wenigen Stellen in Europa geleistet und erst im Laufe des Jahrhunderts standardisiert.

  • Das Triumphtor und die Communs des Neuen Palais am Schlosspark Sanssouci. Direkt gegenüber liegt das Büro von Birgit Schneider.

    Foto: Tobias Schreiner

    Fritz-Thyssen-Journal-Schneider_Klima_Triumphtor

Wegweisend dafür war Alexander von Humboldt. Im Jahr 1817, dem in den Geschichtsbüchern als „Jahr ohne Sommer“ beschriebenen Rekord-Kältejahr, blieben durch einen Vulkanausbruch in Indonesien zwei Jahre lang europaweit die Ernten aus, es folgten Hungersnöte. Zu diesem Zeitpunkt, an dem so etwas wie ein Klimawandel spürbar für die Menschen in Europa wurde, wertete Humboldt Wetter-Daten aus, die im 18. Jahrhundert gesammelt worden waren. Aus den Daten von gerade einmal 58 als verlässlich befundenen Messstationen auf der Nordhalbkugel zeichnete Humboldt die „Isothermenkarte“. Diese weltweit erste Klimazonen-Karte machte die bis dato unsichtbaren Klimazonen mithilfe von Messdaten sichtbar.

  • Ausschnitt von Alexander von Humboldts Klimazonenkarte (Carte Isotherme) der Nordhalbkugel aus dem Jahr 1817. Ländergrenzen gibt es auf dieser Karte nicht zu sehen.

    Abbildung: Staatsbibliothek zu Berlin – PK.

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Wie nützlich ist Humboldts Isothermenkarte heute noch?

„58 Messstationen, von denen fast alle in Europa lagen, sind für heutige Verhältnisse natürlich unglaublich dürftig“, sagt Schneider. „Heute haben wir mehrere Tausend Messstationen weltweit.“ Eine erneute Visualisierung von Humboldts Daten, die Schneider gemeinsam mit Thomas Nocke vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) aufstellte, zeigte, dass die bemerkenswert gleichmäßig gezeichneten Isolinien Humboldts zwar für Europa nahe an den tatsächlichen Zahlen lagen, aber insbesondere für Regionen wie Asien, in denen sich nur sehr wenige Messstationen befanden, spekulativ waren. „Die Visualisierung ist heute natürlich überholt“, sagt Schneider. Unbrauchbar seien sie deshalb jedoch nicht: „Humboldt hat nicht falsch gearbeitet, er hat ein Schema entworfen, das als Programm für zukünftige Forscher gedacht war, um diese Karte immer genauer zu zeichnen. Sie sind ein erster, tastender Versuch, Klimadaten zu visualisieren und deshalb auch weiterhin unglaublich spannend.“ Bis heute nutzt die Klimatographie das Prinzip von Humboldts Isolinien, um Klimazonen darzustellen. Auch die Messdaten des 19. Jahrhunderts sind noch immer in den heutigen Klimabildern vorhanden.

  • „Das Gesicht der Erde“. Beobachtete Temperaturveränderungen der Oberfläche in den Jahren 1901 bis 2012 von -0,6 (Blau) bis 2,5 Grad Celsius (Magenta). Weiße Bereiche zeigen an, wo die Daten nicht robust genug für eine Aussage waren.

    Abbildung: Weltklimarat, 2015. IPCC, Working Group I, AR5, SPM, Fig. 1.

    Fritz-Thyssen-Journal-Schneider_Klima_IPCC_2015
Forschungsschwerpunkt 2: Bildpolitiken des Klimawandels

Auch wenn bereits Humboldts Klimakarten politisch motiviert waren, etwa wenn es um mögliche Anbaugebiete der Kolonialmächte ging, sind Klimabilder heute politischer geworden, erklärt Schneider. Spätestens seit den frühen 90er Jahren, in denen sich ein öffentliches Bewusstsein für den menschengemachten Klimawandel entwickelte, können Klimabilder gar nicht mehr unpolitisch betrachtet werden: „weil Klimaforschung einfach kein abstraktes, naturwissenschaftliches Phänomen ist. Es geht immer um die Rolle des Menschen und darum wie wir das Klima mit beeinflusst haben“, sagt Schneider. Das fängt bei den 1990 veröffentlichten Bildern des Weltklimarats an und endet beim „Cherry Picking“ (Rosinenpickerei) von Klimawandel-Leugnern, die gezielt wissenschaftliche Forschung diskreditieren, indem sie nur einen kleinen Teil gewisser Grafiken zeigen, um zu „beweisen“, dass sich das Klima nicht verändert hat.

  • Keine Klimaerwärmung seit 16 Jahren – behauptet dieses Plakat einer Kampagne von Klimawandelleugnern.

    Abbildung: CFACT (Committee for a Constructive Tomorrow), 2013.

    Fritz-Thyssen-Journal-Schneider_Klima_CFACT

Deshalb konzentriert sie sich im zweiten Teil ihres Buches auf die Daten des Weltklimarats und die Klimabilder, die seit 1990 in Forschung und Medien entstanden sind. „Bilder sind Transitmedien, die zwischen Gesellschaft und Politik stehen“, sagt sie. „Die Klimawandelforschung ist deshalb interessant, weil es auch darum geht, wie wir uns anpassen müssen, damit man den Klimawandel abwenden kann. Das sind politische Fragen, die sich aus einer naturwissenschaftlichen Frage ergeben.“ Wissenschaftliche Klimabilder wie die des Weltklimarats haben deshalb eine Scharnierrolle und müssen sowohl wissenschaftlich korrekt, aber auch so einfach verständlich und attraktiv sein, dass Politiker etwas mit ihnen anfangen können. „Klimabilder sind immer politisch“, schlussfolgert Schneider und untersucht erneut mit ihrer kunstwissenschaftlichen Methodik: Wie hat der Weltklimarat Zukünfte dargestellt, um bestimmte Handlungen zu bewirken?

Problematiken der Farbe Rot und der „Gottesperspektive“

Viele dieser Bilder sind als Kombination aus einem „Kosmogramm“, der sogenannten „Gottesperspektive“, in der die Erde von weit weg als Kugel dargestellt wird, und der Farbe Rot dargestellt, die zeigen soll, wie diese Erdkugel immer wärmer wird. Laut Schneider seien diese Bilder zwar wichtig für die Erkenntnis des Klimawandels gewesen, jedoch heute problematisch, um eine gesellschaftliche Reaktion oder politische Reformen auszulösen: „Rote Erdkarten stehen natürlich in Widerspruch zum Bild des ‚Blue Planet‘. Sie zeigen uns die Apokalypse und einen unbewohnbaren Planeten und befeuern ein Gefühl der Hilflosigkeit.“ Diese dezidiert religiöse Perspektive, die der von Altarbildern ähnelt, verstärkt die Unvorstellbarkeit des Klimawandels, sagt Schneider: „Wenn wir planetarische Weltbilder wie diese verwenden, bleibt das Problem zu groß, um es überhaupt denken zu können. Diese Sicht steht uns im Weg, Veränderungen herbeizuführen.“ Auch Psychologen und Kommunikationsexperten seien sich einig, dass nach fast 30 Jahren diese Bilder zwar zu Absichtserklärungen geführt aber kein Handeln erwirkt haben. „Ohne sie hätten wir den Klimawandel nicht begriffen, aber wir werden mit ihnen nichts verändern können“, sagt Schneider. Stattdessen brauche es heutzutage lokalere, vielfältige Bilder, die auch das Machbare und die „Macher“ zeigen und Handeln möglich machen.

  • Der „Blaue Planet“ gegen die „Brennende Erde“ – eine Zukunftsdarstellung, die problematisch ist.

    Abbildung: NASA Johnson Space Center und Deutsches Klimarechenzentrum Hamburg, MPI-M / M&D, 2008, Collage: Birgit Schneider.

    Fritz-Thyssen-Journal-Schneider_Klima_Zukunftsdarstellung

Positive Beispiel seien zum einen die „Warming Stripes“-Grafik des britischen Klimatologen Edward Hawkins, die anhand von blauen und roten Farben zeigt, dass fast alle untersuchten Städte in den vergangenen 20 Jahren über dem Temperaturdurchschnitt lagen. Zum anderen eine animierte Datengrafik des PIK, die zeigt, wie sich der CO2-Ausstoß weltweit ab 1750 entwickelt hat. Diese Bilder seien wichtig, weil sie zeigen, dass eben nicht „die Menschheit“ den Klimawandel verursacht hat, sondern „die industrialisierten Gesellschaften“, sagt Schneider.

  • „Warming Stripes“ Grafik, die den Anstieg der durchschnittlichen Jahrestemperatur in Deutschland von 6,6 Grad (1881, dunkel blau) bis 10,3 Grad (2017, dunkel rot) anzeigt.

    Abbildung: Edward Hawkins, Climate Lab Book.

    Fritz-Thyssen-Journal-Schneider_Klima_Warming-Stripes
Zur Forscherin:

Birgit Schneider, 1972 geboren, lehrt als Professorin für Medienökologie am Institut für Kunst und Medien der Universität Potsdam. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Bildern und Wahrnehmungsweisen von Umwelt und Klimawandel. Schneider studierte Kunstgeschichte, Philosophie, sowie der Medien- und Kunstwissenschaften an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Goldsmiths College in London und forschte als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team von Professor Horst Bredekamp am Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik der Humboldt-Universität am Projekt „Das Technische Bild“ mit. Sie promovierte an der Humboldt Universität zum Thema „Textiles Prozessieren: Eine Geschichte der Lochkartenweberei“. Seit der Veröffentlichung ihres Buches „Klimabilder“ hat Schneider ihr Themenspektrum um moderne Klimadarstellungen erweitert und forscht derzeit zur Darstellung von Klima im Internet, mit einem besonderen Fokus auf Klimadarstellungen in unterschiedlichen Kulturen. Zudem untersucht sie mit einem Kollegen die Darstellung des Klimas in Videospielen.

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