Das Japanische Palais – die bewegte Geschichte des „gescheiterten“ Porzellanschlosses in Dresden
Auf dem Neustadtufer Dresdens liegt ein Gebäude, das bei all den touristischen Highlights der Altstadt oftmals übersehen wird: das Japanische Palais Augusts des Starken. Schade, denn das heute eher abgelegene Schloss hat eine bewegte Geschichte aufzuweisen: Vom geplanten Porzellanschloss und staatlichen Repräsentationsbau des Fürsten, die beide nie wurden, zu einem der ersten für die Öffentlichkeit zugänglichen Museen in Deutschland überlebte das Gebäude massive Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und beherbergt heute, nach teilweiser Rekonstruktion in der DDR-Zeit, mehrere Museen und Ausstellungen. Ein Team von Kunsthistorikern der Technischen Universität Dresden unter der Leitung von Prof. Dr. Henrik Karge hat es sich zur Aufgabe gemacht, rund 120 Jahre Bau- und Planungsgeschichte des Japanischen Palais zu erforschen.
Aus Zufall stieß der Kunsthistoriker Dr. Stefan Hertzig 2013 in den Archiven der Dresdner Porzellansammlung auf die alten Baupläne des Japanischen Palais. Ein Schatz hunderter originaler Pläne, die nie zuvor umfassend erforscht worden waren. Das wollte Hertzig gemeinsam mit Prof. Henrik Karge und Dr. Kristina Friedrichs von der Technischen Universität Dresden ändern. Die drei Kunsthistoriker widmeten sich in den folgenden drei Jahren (2013-2016) mit finanzieller Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung ausführlich der Bau- und Planungsgeschichte des Japanischen Palais. 2019 veröffentlichten sie im Michael Imhof Verlag einen über 700 Seiten starken Band mit nie zuvor gesehenen Forschungsergebnissen, der wie kein akademisches Werk zuvor und dank 3D-Animationen völlig neue Einblicke in ein Juwel deutscher Baugeschichte gibt.
Ein Zuhause für das Meißener Porzellan
August II., besser bekannt als „der Starke“ (1670-1733), war nie für seine Bescheidenheit bekannt. Der Kurfürst von Sachsen und König von Polen ist berühmt für seine Opulenz und prachtvolle Porzellansammlung, die mittlerweile im Dresdner Zwinger untergebracht ist. Das Sachsen des frühen 18. Jahrhunderts war nach der Vereinigung mit dem Königreich Polen eine europäische Großmacht, die über eine Hochtechnologie im Luxussegment verfügte: das Meißener Porzellan. Der eitle Fürst ließ es sich deshalb nicht nehmen, für seine Sammlung von Zehntausenden Porzellanen aus Fernost und lokaler Werke einen eigenen Palast bauen zu lassen.
Das Holländische Palais, das zuvor seit 1715 an seiner Stelle stand, war bereits ein veritabler Schlossbau: „Hätte er es so belassen, hätten wir heute wahrscheinlich immer noch das Porzellanpalais schlechthin in Europa“, sagt Karge. Doch August wollte es größer und prächtiger. Inspiration brachte er von seiner Europareise mit, die baulichen Vorbilder des Palais waren nichts weniger als die Crème de la Crème der europäischen Prunkpaläste: Versailles, der Vatikan und allen voran der Escorial des spanischen Königshauses. Im 16. Jahrhundert gebaut, diente der Palast zuerst als Schaltzentrale der Weltmacht Spanien, die zuvor fast ganz Amerika in Besitz genommen hatte, wurde aber schon nach dem Tod Philips II. nicht mehr als Regierungssitz genutzt und stattdessen zum Museum umgewandelt. „Genau so etwas ist das Japanische Palais auch geworden“, sagt Prof. Karge, „ein Repräsentationsbau dessen, was Sachsen sein sollte.“ August der Starke hatte den Escorial persönlich besucht. „Er war hoch beeindruckt von diesem riesigen Bauwerk mit seinen fantastischen Kunstsammlungen, das können wir noch heute in den Reisetagebüchern nachlesen“, sagt Karge. „Anscheinend hat er sein Leben lang danach gestrebt, so etwas wie den Escorial selbst einmal verwirklichen zu können.“
Der Fürst griff direkt ein
Und so ließ August der Starke auf der Grundlage des alten Holländischen Palais das Japanische Palais errichten. Ein Palast, der nicht die Residenz des Fürsten in der Altstadt ersetzen, sondern einzig und allein den Staat und die Herrlichkeit des Regenten repräsentieren sollte. „Die Superatio, das Übertreffen von Vorbildern ist, worum es dem Fürsten ging“, sagt Dr. Hertzig. Dementsprechend spektakulär sahen auch die Planungen aus, die der Fürst von gleich vier Architekten (Matthäus Daniel Pöppelmann, Zacharias Longuelune, Johann Christoph Knöffel und Jean de Bodt) umsetzen ließ.
„Die entscheidenden Ideen, da sind wir uns ziemlich sicher, sind direkt vom Fürsten gekommen, der, von Wolf Caspar von Klengel ausgebildet, eine enorme Bildung auf dem Gebiet der Architektur hatte.“ Die Forschungen der Dresdner Kunsthistoriker zeigen, dass August der Starke tatsächlich viel enger in die Planungen des Gebäudes eingebunden war, als bisher angenommen. „Er griff regelmäßig direkt und persönlich ein“, sagt Hertzig.
Ein Museum für die Öffentlichkeit
Doch der Ehrgeiz des Königs verdammte sein Herzensprojekt dazu, für immer unvollendet zu bleiben. Denn der Fürst verstarb 1733 vor der Fertigstellung des Japanischen Palais. Der nur provisorisch vollendete Palast wurde nach den Zerstörungen des Siebenjährigen Krieges unter Kurfürst Friedrich August I. nach Plänen Christian Friedrich Exners zu einem der ersten öffentlichen Museen Deutschlands umgebaut, nur um wenige Jahre vorweggenommen durch das Museum Fridericianum in Kassel – seit der Nachkriegszeit Ausstellungsort der Documenta.
Nach der Eröffnung der Antikensammlung 1784 wurde das Japanische Palais 1788 mit der großen Inschrift „Museum Usui Publico Patens“ (öffentlich zugängliches Museum) am Giebel über dem Haupteingang versehen. „Diese Idee der Öffentlichmachung hatte selbst Frankreich mit dem Louvre noch nicht, hier werden praktisch Ideen der Französischen Revolution vorweggenommen“, sagt Karge. „Von dem monarchischen System der Kunstsammlung zum öffentlichen Museum, das war damals in Europa absolute Avantgarde.“
Das Porzellan, inzwischen unmodern geworden, wurde für die nächsten 90 Jahre (1780-1870) in den riesigen Kellergewölben des Palais ausgestellt: ein Souterrain, das das Erdgeschoss in der exakt gleichen geometrischen Raumaufteilung trägt. „Das ist praktisch das Museum im Verborgenen gewesen, das bis heute nur ganz wenig erforscht worden ist“, sagt Prof. Karge. Der letzte Raum des Untergeschosses simulierte zu dieser Zeit eine antike Begräbnisstätte und wurde dementsprechend „Columbarium“ genannt.
Seine letzte geplante Umwandlung erfuhr das Japanische Palais durch die Ausmalungen der Antikensäle von Gottfried Semper 1835/36. Gerade zurück von seiner großen Italien- und Griechenlandreise, ließ sich der erst 32 Jahre alte und gerade zum Professor der hiesigen Kunstakademie berufene Semper von Interieurs der Antike beeinflussen: Die zurückhaltenden geometrischen Raumfassungen zeigen am oberen Rand der Wände Bilder und Dekore, die an das römische Pompeji, griechische Vasenmalereien, etruskische und Renaissance-Malereien aus den Loggien des Vatikans erinnern – eine große künstlerische Leistung Sempers, der eigentlich Architekt und nicht Dekorateur oder Maler war.
Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und Rekonstruktion
In seiner Funktion als Bildungszentrum mit dem Antikenmuseum im Erdgeschoss und der königlichen Bibliothek im nun zweigeteilten Obergeschoss überdauerte das Japanische Palais bis zum Zweiten Weltkrieg, bis am 13. Februar 1945 ein Großteil des Schlosses durch Brandbomben zerstört wurde. In der DDR-Zeit wurde das Palais glücklicherweise nicht abgerissen; stattdessen wurden unter der Leitung von Hubert Georg Ermisch über Jahrzehnte langsam und konsequent die Fassaden, die noch original aus den Zeiten des Holländischen Palais erhaltene „Pöppelmann Treppe“ und die vordere Halle des Gebäudes sowie der hölzerne Dachstuhl wieder in Stand gesetzt. Auch Teile der Semperschen Ausmalungen der ehemaligen Antikensammlung, vor allem im zentralen Ausstellungsraum, wurden restauriert. „Allerdings nach den Möglichkeiten der damaligen Zeit, die Restaurierung ist in Bezug auf die Zuverlässigkeit der Farbstimmung etwas kritisch zu sehen“, sagt Karge. „Immerhin gibt sie aber einen gewissen Eindruck von der geometrischen Gesamtsituation der Semperräume.“
Bis heute hat das Japanische Palais seine ursprüngliche Bestimmung nicht wiedergefunden. Nur Teile des Schlosses sind restauriert, der ehemalige Porzellanpalast ist heute ein Multifunktionsbau mit mehreren verschiedenen Museen und Ausstellungsbereichen. Trotzdem erinnert Stefan Hertzig daran, „dass dieser Bau, der komplett ausgebrannt war und fast vergessen wurde, einschließlich der Gesamtanlage mit dem Vorplatz, der Königsstraße und dem Garten noch da ist und keine großen baulichen Beschädigungen erhalten hat; dafür muss man dankbar sein.“
Wiedergeburt eines verlorenen Palasts
Umso wertvoller ist die Arbeit der Dresdner Kunsthistoriker, die auf der Grundlage einer Vielzahl von Bauplänen, Entwurfszeichnungen und historischen Fotografien zum ersten Mal in 3D-Computervisualisierungen der Dresdner Firma Arte4D einen historisch akkuraten Eindruck vermitteln, wie das Japanische Palais einst aussah.
„Allein dadurch, dass man in diesen Simulationen eine Decke, einen Fußboden und große Fenster mit ihrer Lichtwirkung sehen kann, kann man endlich eine lebhafte Vorstellung bekommen, was für herrliche Räume hier in der Barockzeit entstanden sind oder entstehen sollten“, schwärmt Stefan Hertzig. „So konnten wir Räume, die zerstört oder nie gebaut wurden, wieder aufleben lassen.“
Aus eins mach zwei
So konnten die Wissenschaftler auch die 73 Meter lange Elbgalerie im Obergeschoss rekonstruieren, die nach der Umwandlung dieses Hauptgeschosses in die königliche Bibliothek durch eine Zwischendecke zweigeteilt wurde (1774-86) – die wohl größte Bausünde, die in der Vergangenheit an dem Palais begangen wurde, wenn es nach Karge und Hertzig geht: Das Prachtstück des Schlosses, das einst den geplanten Königsthron und sogar das berühmte Dresdner Porzellanglockenspiel beherbergte, war einst mehr als zehn Meter hoch. „Heute sind es durch die eingezogene Zwischendecke nur noch vielleicht sechs Meter sowie die sehr niedrigen, oberhalb angeordneten Depoträume, die schwere Buchschränke beinhalteten“, sagt Hertzig. Auch Karge klagt: „Aus einem hohen Raum zwei niedrige zu machen, ist zwar für eine Bibliothek funktional zweckdienlich, dadurch wurde jedoch die gesamte Raumwirkung der oberen Säle völlig zerstört.“
Und mehr als das: Laut Karge ist durch die Zweiteilung die Gesamtkonzeption des Palais heute nicht mehr nachvollziehbar. Denn entscheidend für die Konzeption des Japanischen Palais war, dass es zwei Ebenen gab: die untere Etage für das asiatische Porzellan (dargestellt von den Japanerhermen im Innenhof), das importiert und hier ausgestellt wurde und als Inspirationsquelle für die Neuerfindung des Porzellans ins Sachsen diente. Das Obergeschoss sollte das Meißener Porzellan zeigen, das als hochwertigere Weiterentwicklung angesehen wurde. Dementsprechend sollte das obere Stockwerk des Palasts höher sein und so eine Steigerung repräsentieren.
Repräsentation der Macht Sachsens
Diese Überlegenheit des Meißener Porzellans, das den Sächsischen Staat repräsentierte, wird auch am Giebel über dem Haupteingang demonstriert, wo ein Relief mit dem Titel „Meißener Triumph“ zeigt, wie Japaner und Chinesen ehrfürchtig ihr Porzellan einer mächtigen Saxonia darbieten. An drei Wänden des Innenhofs sowie an den Eingangstreppen der Haupthalle tragen monumentale Chinesen-/Japanerhermen das obere Stockwerk des Palasts auf ihren Schultern.
Die Bedeutung des Japanischen Palais im Gesamtkonzept Dresdens wird besonders deutlich mit der Umbenennung Altendresdens 1731 in die Neue Königsstadt Dresden, erklärt Hertzig: „Der Begriff ‚neu‘ spielt hier eine ganz besondere Rolle, also die modernere Stadt befindet sich hier im moderneren französischen Lisenenstil mit dem Japanischen Palais als Zentrum und wichtigstem Bau“, sagt Hertzig. Die städtebauliche Verbindung zur Altstadt und der Residenz des Königs wird durch den einst prachtvoll ausgestatteten Garten gewährleistet. Die Aussicht von hier auf die Altstadt wurde einst „La plus belle vue du monde“ genannt, die schönste Aussicht der Welt. „Die Neustadt mit dem Japanischen Palais wurde zwar als repräsentativ wichtiger als die Altstadt gesehen, doch dort wurde immer noch gelebt und gearbeitet“, sagt Hertzig. „Zwei Teile, die nach wie vor untrennbar zusammengehören.“
August der „Starke“ (1670-1733) zwischen Realität und Legende
„Er war sicherlich einer der eigenwilligsten und prägnantesten Monarchen der Barockzeit“, sagt Prof. Karge. August II. gelangte erst als zweiter Bruder und Kurzprinz 1694 an die Macht, nachdem sein älterer Bruder überraschend gestorben war. Kurze Zeit danach, 1697, wurde er zum König von Polen gekrönt. Dieser Rangzugewinn brachte August auf Augenhöhe mit den brandenburgischen Fürsten, die die Königskrone Preußens innehatten. August ging es darum, seine hiesige Residenz Dresden zu einer Residenz von europäischem Format aufzuwerten. Unter starken innenpolitischen Druck setzte August die Religion: Um die Königskrone Polens zu erhalten, musste der Landesherr Sachsens – die Führungsmacht des Protestantismus – zum Katholizismus konvertieren. Das Japanische Palais und die Ausstellung des stolz in Sachsen produzierten Porzellans sollten dazu dienen, die eigenen Bürger von Augusts Herrschaftsanspruch zu überzeugen.